Osteopathie

Einführung

Osteopathie ist ein, von dem amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still im 19. Jahrhundert begründeter Zweig der Medizin. Im angelsächsischen Raum ist sie fest verankert und ca. 100.000 (von insgesamt ca. 520.000) der ärztlichen Kollegen in Vereinigten Staaten sind osteopathisch ausgebildet. Die Osteopathie ist eine Erfahrungsmedizin, steht aber fest auf dem Boden von Anatomie, Physiologie und Biomechanik. Sie beschäftigt sich mit funktionellen, das heißt reversiblen Störungen der Organsysteme. Einer der Grundsätze lautet : Schlecht durchblutetes Gewebe funktioniert nicht gut. Dieser Satz ist auch umkehrbar: Nicht gut funktionierendes Gewebe wird schlecht durchblutet. Die Blutversorgung erfolgt bekanntlich über Gefäße, die ihrerseits in ein Bindegewebe eingebettet sind und auch die Organe selbst sind in bindegewebige Kapseln eingeschlossen. Wenn nun diese bindegewebige Strukturen – Fachausdruck Faszien – nicht elastisch genug sind, – verkleben in der Sprache der Osteopathie – kommt es zur Minderdurchblutung.

Diese Verklebungen können Sie sich vorstellen wie Verfilzungen bei einem Kleidungstück aus Wolle, das mechanisch oder chemisch nicht sachgerecht behandelt wurde. Auch unser Bindegewebe reagiert auf mechanische Belastung ohne anschließendes Dehnen, auf Übersäuerung oder sonstige Stoffwechselentgleisungen mit Verfilzung.

D.h. Ziel in der Osteopathie ist durch Tasten identifizierte Verklebungen im Bindegewebe zu lösen und dadurch die Gleitfähigkeit von Strukturen zu verbessern und über diesen Weg Durchblutung, Stoffwechsel und letztlich auch Eigenregulation von Organen oder Organsystemen zu verbessern.

Osteopathische Diagnostik

Kernbegriff ist „Safety“. D.h. vor jeder osteopathischen Therapie müssen eventuell für die Symptomatik des Patienten in Frage kommende strukturelle Erkrankungen (Erkrankungen im Sinne der Schulmedizin) durch entsprechende Bildgebung und entsprechende Labortests ausgeschlossen werden.

Die Diagnostik stützt eine Fülle von präzisen und inter-individuell validierten Tests, die letztlich einen strukturierten Untersuchungs- und Behandlungsablauf ermöglichen sollen. Im Wesentlichen stützt sich die Diagnostik auf die Sinneswahrnehmungen des Untersuchers, insbesondere auf dessen Tastsinn.

Ausgehend von der Tatsache, dass aufgrund entwicklungsgeschichtlicher Gegebenheiten jedem Wirbelsäulensegment ein Stück Haut, Bindegewebe, Muskel, Gefäß, Nerv und Knochen zugeordnet sind, und alle Informationen aus dem Körper zentral verarbeitet werden, ergibt sich ein sehr komplexes Zusammenhangsmodell, in dem jedes Organ mit dem anderen über – mehr oder weniger starke – bindegewebige, humorale oder nervale Verbindungen verknüpft ist.

Vielleicht macht ein Beispiel, sehr häufig im Vordergrund stehender Mechanismen diese trockenen Überlegungen etwas anschaulicher:

HWS Probleme hängen oft mit dem Oberbauch zusammen.

Erstens sind die Kapseln der Oberbauchorgane alle vom Nervus phrenicus innerviert. Der kommt aus dem häufigst blockierten HWS Bereich nämlich C4 und C5. Zweitens sind die Organe selbst vom Nervus vagus innerviert. Dessen Kern liegt im Nukleus ambiguus sehr nahe neben dem Kern für den Nervus accessorius, welcher den Muskulus trapezius innerviert. Drittens führen Probleme, egal welcher Art, an Magen und v.a. Cardia (Mageneingang) zu einem Zug über die Speiseröhre am Zungenbein und letztlich zu einer Kopfventralisation, die wieder, u.a. über mechanische Überlastung der HWS-Extensoren durch die Vorhalte zu Nackenbeschwerden führt. Viertens führt eine gestörte Beweglichkeit der Oberbauchorgane zu einander, die weder sonographisch noch gastroskopisch erfasst wird, aber sehr gut zu tasten ist, zu mechanischen Problemen an der oberen Thoraxapertur, dem Gegenstück zum „Pumpenkolben“ Zwerchfell. Das Zwerchfell bewegt die Leber bei jedem Atemzug, – d.h. 20.000 mal täglich – über eine Strecke von 10 -14 cm !
Fünftens, sechstens ……. Es gäbe noch ein Vielzahl von denkbaren Mechanismen. Die Gewichtung, welcher Mechanismus steht beim individuellen Patienten im Vordergrund, die Suche nach der sogenannten Primärläsion ist zentraler Bestandteil osteopathischer Diagnostik. In der Regel streben wir eine schulmedizinische Abklärung der vermindert beweglichen Region an, da aktuelle Erkrankungen der betroffenen Organe vorliegen können. Sehr häufig liegen aber aus schulmedizinischer Sicht abgelaufene oder banale Erkrankungen vor. Die Patienten sind dann verwirrt, wenn der Orthopäde eine Leberstörung diagnostiziert und der Internist, also der eigentliche Leberspezialist, keinerlei Störung feststellen kann. Dies liegt nicht daran, dass der eine oder der andere nicht sorgfältig untersucht hat, sondern an der schlichten Tatsache, dass der osteopathisch denkende Orthopäde nach einer funktionellen Störung tastet und der Schulmediziner mit Labor, Sonographie, CT, Biopsie usw. nach einer strukturellen Störung forscht. Beides, veränderter Tastbefund und strukturelle Störung können, müssen aber nicht gemeinsam vorliegen! Es liegt also gar kein Widerspruch vor!

Osteopathische Behandlung

Grundsätzlich gibt es ein häufig zu beobachtendes Dreieck aus Störung im Bewegungsapparat, Störung im zugehörigen Inneren Organ und Störung der nervanlen Versorgung dieser beiden Strukturen.

Dieser häufige Zusammenhang hat dazu geführt die Osteopathie didaktisch zu gliedern in:

  • Parietale Osteopathie (Behandlung des Bewegungsapparates)
  • Viscerale Osteopathie (Behandlung innerer Organe)
  • Craniosacrale Osteopathie (Behandlung von Schädel und Rückenmarkskanal)

Dies ist eine didaktische Gliederung. Es gibt keine craniosacrale Osteopathie. Es gibt allenfalls Befundkonstellationen bei denen vor allem craniosacrale Techniken zum Einsatz kommen. Es ist gerade das Wesen der Osteopathie ein Problem von diesen drei Aspekten her zu betrachten und die gegenseitigen Verbindungen dieser Einzelbefunde geschickt therapeutisch zu nutzen.

An sich ist osteopathische Behandlung ganz einfach:
Ich ordne die vielen Verhärtungen auf Grund funktionell anatomischer Kenntnisse nach ihrer Wertigkeit und beginne sie entsprechend ihre Bedeutung durch bestimmte Techniken, meist länger anhalten Druck zu lösen, ähnlich wie sich beim Filzen eine Gewebezusammenballung durch geschicktes Ziehen wieder lockern lässt. Osteopathie ist eine Sache des sich immer wieder an der sich unter der Behandlung verändernden Gewebequalität anpassenden Vortastens.

Vielleicht konnte ich wenigstens einen Eindruck von den Denkmodellen der Osteopathie vermitteln. Das Problem in der Kommunikation über Osteopathie ist, dass es ein Handwerk ist. Ein Töpfer kann Ihnen vielleicht zeigen wie er eine Vase macht. Er kann Sie auch spüren lassen wie der Ton auf verschiedene Handhabung reagiert. Vermutlich wird er aber Mühe haben, die Feinheiten auf die es ankommt in Schriftform zu kleiden. So geht es mir mit der Osteopathie.

Letztlich will ich aber nicht mit Worten verwirren, sondern durch Behandlungserfolg überzeugen.